Einfache Sprache Vorlesen

04. Sep 2020Uta Lauer
Uta Lauer, privates Foto

Uta Lauer

ist Chefin vom Verlag Naundob.
Der Verlag Naundob macht Bücher in Leichter und Einfacher Sprache.
Jedes Jahr gibt es fünf neue Bücher.
Der Verlag ist in Berlin.

Hier sind unsere Fragen an Uta Lauer.

1. Was ist der Verlag Naundob? Und was ist dort ihre Arbeit?
Eigentlich heißt der Verlag edition naundob.
Autorinnen und Autoren schicken uns ihre Geschichten.
Sie fragen: Macht ihr da ein Buch draus?
Ich lese die Geschichte.
Ich überlege:
Ist die Geschichte spannend?
Ist das Thema für viele interessant?
Kann man den Text gut lesen?
Soll daraus ein Buch werden?

Wenn hinter allen Fragen ein Ja steht, lese ich den Text noch einmal ganz genau.
Dann sage ich der Autorin oder dem Autor, was noch anders gemacht werden muss.
Ist das passiert, schicke ich den Text zu einer Lektorin.
Eine Lektorin macht den Text noch besser.
Sie guckt, dass keine Fehler drin sind.
Ich frage Leute, die Einfache Sprache brauchen: Ist der Text verständlich?

Danach setze ich den Text.
Das bedeutet, ich gestalte ihn im Computer so, dass er gut in ein Buch passt.
Und ich denke mir ein Bild für den Umschlag aus.
Dann wird das Buch gedruckt.
Das macht die Druckerei.

Wenn das Buch fertig ist, mache ich Werbung für das Buch.
Ich sage den Leuten:
Guckt mal, es gibt ein neues Buch von der Autorin oder dem Autor.
Das Buch ist so toll, dass es alle lesen sollen.

Dann kümmere ich mich um den Verkauf.
Und natürlich auch um das Geld für die Autorin.

2. Wenn Sie bestimmen dürfen:
Welches Buch soll es in Einfacher Sprache geben?
Gottes Werk und Teufels Beitrag von John Irving

Worum geht es da?
Es ist die Geschichte über einen Jungen, der in einem Kinderheim aufwächst. Einen Jungen, der anders ist, als die anderen Kinder. In dem Heim werden Kinder geboren (Gottes Werk), aber auch Kinder abgetrieben (Teufels Beitrag).
Es geht darum, das Leben und die Menschen zu nehmen, wie sie sind.
Und die Aufgaben, die einem das Leben stellt, zu erfüllen.

Und warum soll es jeder lesen?
Es ist eine Geschichte voller Liebe zum Leben.

3. Was finden Sie gut an Einfacher Sprache?
Dass viele Menschen sie verstehen.
Dass ich mich genau ausdrücken muss.
Dass ich selbst genau überlegen muss, was ich sagen oder schreiben will.

4. Was geht nicht so gut mit Einfacher Sprache?
Gesetzestexte. Die sind sehr kompliziert und nicht immer genau genug.
Man kann Gesetze so oder so auslegen. Das geht in Einfacher Sprache nicht. Da muss man ganz genau sein.

5. Können Sie selber Einfache Sprache schreiben?
Und sprechen? Gibt es da einen Unterschied?
Ich denke, ich kann das ganz gut.
Schreiben finde ich leichter. Da kann ich länger überlegen.
Sprechen ist aber genauso wichtig.
Ich rede in meiner anderen Arbeit viel mit Menschen.
Da übe ich das Sprechen in Leichter und in Einfacher Sprache.

6. Viele Menschen finden Lesen schwer.
Warum sollen sie trotzdem Geschichten und Bücher lesen?
Was ist so wichtig am Lesen?
Man kann beim Lesen in andere Welten tauchen.
Beim Lesen baut man sich seine eigenen Bilder im Kopf.
Man macht beim Lesen vieles selbst. Nicht wie z.B. beim Film, wo alles vorgegeben ist.
Beim Lesen ist man allein und trotzdem in bester Gesellschaft. Mit den Figuren in den Geschichten zum Beispiel. Lesen kann man überall. Überall Abenteuer erleben.
Wer liest, denkt anders. In verschiedene Richtungen.

7. Wissen Sie noch, als Sie selber nicht gut lesen konnten?
Was war schwer für Sie? Und was hat Ihnen geholfen?
Daran kann ich mich nicht erinnern. Aber ich weiß noch, dass ich Lesen in der Schule doof fand. Die Bücher haben mir oft gefallen. Aber dann wurden sie auseinander-gepflückt. Man konnte so viel Falsches sagen. Dann war das Buch irgendwie kaputt.

8. Können Sie eine andere Sprache sprechen und lesen?
Wie ist es da, wenn Sie schwere Texte lesen sollen?
Wie ist es, wenn Sie sich mit jemand in der Fremdsprache unterhalten müssen?
Ich bin nicht gut in Fremdsprachen. Ich kann ein bisschen Englisch. Früher musste ich auf der Arbeit viel Englisch sprechen und lesen. Lesen fand ich immer leichter. Weil keiner merkt, wenn ich etwas nicht sofort verstehe. Weil ich dabei allein bin. Beim Sprechen hatte ich oft Angst, dass mich jemand für blöd oder dumm hält. Aber mit Übung wurde das auch viel leichter. Heute habe ich nur noch manchmal Angst.

9. Ist Einfache Sprache auch wie eine fremde Sprache lernen?
Oder leichter? Oder sogar schwerer? Erzählen Sie mal.
Ich finde nicht, dass man das vergleichen kann. Es ist eher, etwas ganz genau machen. Ich muss mir mehr Mühe geben beim Sprechen oder Schreiben. Ich muss mehr auf den Menschen gegenüber achten. Ich will ja verstanden werden.
Dafür muss ich das, was ich erzähle, selbst ganz verstanden haben.
Ich kann mich nicht hinter Fremdwörtern verstecken. Ich kann nicht erst im Satz überlegen, was ich sagen will.

10. Bitte erzählen Sie aus Ihrer Arbeit mit Einfacher und Leichter Sprache.
Warum ist Einfache und Leichte Sprache wichtig für Sie geworden? 
Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit verändern?
Sprache ein wichtiges Werkzeug, dass uns Menschen verbindet. Wer die Sprache nicht versteht, wird ausgeschlossen. Manchmal wird die Sprache genau dafür genutzt.

Zum Beispiel beim Arzt oder sonst, wenn jemand Hilfe braucht. Da wird gesagt: Das ist zu kompliziert. Das verstehst Du nicht. Das müssen andere entscheiden, die es besser wissen. Das ist unfair. Jeder soll selbst entscheiden dürfen: das ist gut für mich. Das will ich so.

In der Literatur ist das auch oft so. Manchmal wird ein Text besonders gelobt, weil er sehr kompliziert ist. Nur wenige Menschen verstehen den Text. Manche Menschen denken dann: ich bin besser als die anderen, weil ich den Text verstehe. Das ist aber Quatsch. Kein Mensch ist besser als die anderen.
In der Literatur soll es gern viele verschiedene Texte geben. Die komplizierten, die kaum einer versteht, die kunstvoll verschnörkelten und auch die klaren, einfachen, die mit jedem Wort ins Herz treffen.

Ich wünsche mir, dass Einfache Sprache in der Literatur als Stilmittel anerkannt wird. Dass es eine eigene Form ist. Nichts Besonderes. Nicht nur was für die, die nicht gut lesen können.
Ich möchte, dass gesehen wird: Das kann Einfache Sprache. Man kann alles damit ausdrücken. Einfache Sprache kann lustig sein, spannend, poetisch, gruselig, erklärend oder totaler Blödsinn.
Ich möchte mit dafür sorgen, dass Menschen, die Einfache Sprache brauchen, mehr in die Mitte rücken.

11. Hier steht keine Frage. Hier sollen Sie einfach erzählen: Was Sie sonst noch wichtig finden. Es darf auch etwas Lustiges sein! Oder etwas, das Sie sich wünschen. Es soll natürlich mit Sprache zu tun haben!
Ich würde gern etwas Lustiges schreiben.
Aber das geht nicht.
Was ich schreibe ist mir wichtig und leider überhaupt nicht lustig.
Es hat eine Menge mit Sprache zu tun.
 
Die UN-Behindertenrechts-Konvention sagt, dass jeder Mensch so leben darf wie er möchte.
Das deutsche Gesetz sagt das auch.
Menschen mit Behinderung dürfen selbst wählen: möchte ich in einem Heim leben oder in einer WG oder in einer eigenen Wohnung.
Das ist sehr gut.
Aber nun will das Gesundheits-Ministerium das anders machen.
Menschen, die Hilfe beim Atmen brauchen, sollen im Heim leben.
Gesundheits-Minister Jens Spahn sagt: die Menschen bekommen sonst nicht die Pflege, die sie brauchen.
Das ist falsch.
Viele Menschen, die Hilfe beim Atmen brauchen, leben zu Hause. Sie haben Familie und Kinder, sie arbeiten und haben Hobbys. Für die Beatmung haben sie Pflegerinnen und Pfleger die sich darum kümmern.
Im Heim geht das alles nicht.
Zu Hause leben ist teuer. Wenn alle zusammen in einem Heim leben, ist das billiger.

Viele Menschen haben dagegen protestiert. Sie haben Briefe geschrieben, demonstriert und auch mit Jens Spahn gesprochen.
Weil so viele Menschen protestiert haben, wurde das Gesetz ein paar Mal umgeschrieben.
Jetzt steht drin, dass alle ins Heim sollen, aber berechtigte Wünsche der Patienten geachtet werden müssen.
Der Medizinische Dienst der Kranken-Versicherung entscheidet, wer berechtigt ist und wer nicht. Der Medizinische Dienst entscheidet jedes Jahr, ob der Mensch noch zu Hause bleiben darf.
Ich finde das nicht richtig. Ein Wunsch ist immer erst einmal berechtigt. Keiner darf von außen entscheiden, ob man einen Wunsch haben darf oder nicht.
Jeder Mensch soll frei entscheiden dürfen, wo er wohnen will.
Das Gesetz tritt im Herbst in Kraft.
 
Mich ärgern daran 2 Sachen ganz besonders:
1.  Dass es dem Gesundheits-Ministerium völlig egal ist, wie es den Menschen geht.
2.  Dass das Ministerium nicht ehrlich ist und klar sagt, was es will. Man könnte denken, sie hielten uns alle für dumm.
 
In einer Demokratie dürfen alle mitreden. Das geht nur, wenn man Texte versteht. Deshalb wünsche ich mir, dass alle neuen Gesetze in Einfacher Sprache geschrieben werden müssen.
Dann müssen die Politiker genau sagen, was sie meinen. Sie müssen ehrlich sein.

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2Kommentare

  • Doris
    16.09.2020 08:51 Uhr

    Danke, Uta Lauer! Ich finde es gut, was Du sagst. Besonders, dass kein Mensch besser ist als ein anderer. Und dass jeder Mensch selbst entscheiden soll, wie und wo er leben will. Tolles Interview!

  • Silvana Pasquavaglio
    16.09.2020 20:11 Uhr

    Ich finde das Interview auch sehr gut. Mir gefällt es, weil Uta Lauer sehr ehrlich ist. Man spürt: Sie ruht in sich. Sie weiß, was sie will. Und sie ist eine gute Beobachterin. Mir gefällt, dass sie sich für das, was ihr wichtig ist, einsetzt. Uta Lauer schimpft nicht nur über das, was nicht gut ist. Sie macht auch etwas, damit es besser wird.
    Vielen Dank!

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