Die Kunst der Einfachheit: Kein normaler blauer Tag Vorlesen

16. Jul 2025Marie und Dalja
Publikumspreis 2024

Jakob hat einen Plan an seinem Kühlschrank.
Auf den Plan kann man alle Tage sehen.
Jakob hat den Tagen eine Farbe gegeben.
Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag sind blau.
Das sind die blauen Tage.
Samstag und Sonntag sind grün.
Das sind die grünen Tage.

An jedem blauen Tag steht Jakob um 6:00 Uhr morgens auf.
Er streckt sich und macht 10 Liegestütze.
Dann geht er ins Bad.
Er putzt sich die Zähne. Genau 2 Minuten lang.
Danach zieht er sich an und kämmt sich die Haare.
Wenn er fertig ist, schaut Jakob in den Spiegel.
Er lächelt und sagt: „So kannst du unter die Leute gehen, Herr Simmer.“
So heißt Jakob mit Nachnamen. Jakob Simmer.
Jeden Tag vor der Schule hat Jakobs Papa das zu ihm gesagt.
„So kannst du unter die Leute gehen, Herr Simmer.“

Heute ist Jakob erwachsen.
Aber er sagt es auch heute jeden Tag.
Nach dem Bad geht Jakob in die Küche.
Er trinkt einen Kaffee. Ohne Zucker und ohne Milch.
Dazu isst er ein Brot mit Käse.
Pünktlich um 6:45 Uhr nimmt Jakob seine Tasche und geht zur U-Bahn.
Für den Weg braucht Jakob 10 Minuten.
Manchmal sagt ein Nachbar „Hallo“ oder die Ampel ist rot.
Dann braucht er ein wenig länger.
Das hat Jakob mit eingerechnet.
Jakobs Bahn fährt genau 7:00 Uhr.
Dann ist er 24 Minuten später auf der Arbeit.
Um 7:30 Uhr fängt Jakob mit der Arbeit an.

Jakob arbeitet in einem Supermarkt.
Er hat die Aufgabe, die Regale zu überprüfen.
Die Regale müssen immer ordentlich und voll sein.
Wenn etwas fehlt, muss Jakob ins Lager gehen und Nachschub holen.
Die Suppendosen mag Jakob am liebsten.
Sie sind groß und lassen sich gut stapeln.
Das Schokoladen-Regal mag Jakob gar nicht.
Er bekommt dann immer so großen Schokoladen-Hunger.
Aber auf der Arbeit darf Jakob natürlich keine Schokolade essen.

Um 16:00 Uhr fährt Jakob nach Hause.
Er geht ins Bad und duscht.
Dann legt er sich die Kleidung für den nächsten Tag zurecht.
Um 17:30 Uhr kocht sich Jakob Abendessen.
Sein Lieblings-Essen ist Nudel-Auflauf.
Jakob isst und räumt die Küche auf.
Um 19:00 Uhr schaut Jakob eine Stunde Fernsehen.
Dann stellt er den Fernseher aus und geht ins Bad.
Jakob putzt sich die Zähne. Genau 2 Minuten lang.
Dann schaltet er alle Lichter aus und geht ins Bett.
Im Bett liest Jakob, bis er müde wird.
Dann stellt er den Wecker und schläft ein.
So sind alle blauen Tage.

Heute ist ein blauer Tag. Heute ist Mittwoch.
Der Wecker klingelt um 6:00 Uhr.
Jakob steht auf, streckt sich und macht 10 Liegestütze.
Er geht ins Bad und putzt sich die Zähne. Genau 2 Minuten lang.
Danach zieht er sich an und kämmt sich die Haare.
Jakob schaut in den Spiegel, lächelt und sagt:
„So kannst du unter die Leute gehen, Herr Simmer.“
Dann geht er in die Küche und trinkt einen Kaffee.
Ohne Milch und ohne Zucker.
Dazu isst er ein Brot mit Käse.
Pünktlich um 6:45 Uhr nimmt Jakob seine Tasche und geht zur U-Bahn.
Es ist ein ganz normaler blauer Tag.

Jakob geht die Treppe zur U-Bahn hinunter.
Es ist 6:56 Uhr.
Im U-Bahnhof sind sehr viele Menschen.
An normalen Tagen sind nur wenige Menschen hier.
Heute stehen die Menschen ganz eng.
Viele der Menschen sehen wütend aus und schauen auf die Anzeige.
Auf der Anzeige steht: „Bitte haben Sie Geduld.“
Die meisten Menschen haben keine Geduld.
Sie telefonieren laut und wackeln mit den Füßen.
Jakob sieht ein kleines Mädchen mit einer Schultasche.
Das Mädchen schaut in den U-Bahn-Tunnel.
Dann geht das Mädchen ganz nah zum Tunnel-Eingang.
Dort steht ein Schild.
Auf dem Schild steht: „Betreten verboten. Lebensgefahr.“
Es ist 6:59 Uhr.

Das Mädchen schleicht an dem Schild vorbei und geht in den Tunnel.
Der Tunnel ist sehr dunkel.
Jakob kann das Mädchen nicht mehr sehen.
Jakob fängt an zu schwitzen.
Er schaut nach den Eltern des Mädchens, aber er sieht niemanden.
Jakob geht zum Tunnel-Eingang und bleibt an dem Schild stehen.
Er kann das Mädchen nicht sehen.
Jakob ruft in den Tunnel hinein: „Hallo Mädchen. Komm raus.“
Niemand antwortet und das Mädchen kommt nicht raus.
Noch einmal schaut Jakob nach den Eltern.
Niemand sucht das Mädchen.
Das ist wirklich kein normaler blauer Tag.

Jakob macht sich Sorgen um das Mädchen.
Er hat Angst, dass sie hingefallen ist.
Wenn sie nicht aufstehen kann und dann kommt die Bahn.
Jakob will es sich nicht vorstellen.
Wieder liest er auf dem Schild: „Betreten verboten. Lebensgefahr.“
Jakob atmet einmal tief ein und wieder aus.
Dann geht er vorsichtig vorbei an dem Schild und in den Tunnel hinein.
Im Tunnel ist es sehr dunkel.
Im Licht vom Bahnsteig kann Jakob einen Weg erkennen.
Der Weg ist schmal und direkt an der Tunnel-Wand.
Jakob geht 8 Schritte.
Dann ist der Weg zu Ende.

Jakob bleibt stehen.
Vor ihm ist eine schmale Treppe.
Dahinter ist der Tunnel fast schwarz.
Das Mädchen kann er nicht sehen.
Jakob ruft: „Hallo Mädchen. Wo bist du?“
Niemand antwortet ihm.
Jakob bekommt ein blödes Gefühl im Bauch.
Er hat Angst.
Er wäre jetzt gerne im Supermarkt an seinen Regalen.
Wenn es sein muss, sogar am Schokoladen-Regal.
Dort ist es überall so schön hell.
Jakob überlegt umzudrehen, aber er macht sich Sorgen.
Wenn das Mädchen eingeklemmt ist und dann kommt die Bahn.
Jakob will es sich nicht vorstellen.

Er geht die Treppe hinunter und weiter hinein in den Tunnel.
Jakob sieht einen Schatten.
Er ruft: „Hallo Mädchen. Bist du da?“
Jakob hört ein Rascheln und ein Fiepsen.
Es ist nur eine Maus.
Jakob geht weiter.
Ganz hinten im Tunnel kann Jakob ein kleines Licht sehen.
Ist das die U-Bahn?
Jakob presst sich schnell an die Wand.
Er hat Angst überfahren zu werden.
Aber es passiert nichts.
Das Licht bleibt genau an der gleichen Stelle.
„Suchst du auch die U-Bahn?“

Auf einmal steht das Mädchen direkt vor ihm.
Jakob ist ganz überrascht und sagt: „Da bist du. Ich habe dich gesucht.“
Das Mädchen fragt: „Warum?“
Jakob antwortet: „Hast du das Schild nicht gelesen?
Man darf nicht hier reingehen.“
Das Mädchen sagt: „Ich kann noch nicht lesen.“
Jakob sagt: „Oh.“

Das Mädchen sagt: „Ich heiße Mari. Und du?“
Jakob sagt: „Ich heiße Jakob. Warum bist du in den Tunnel gegangen, Mari?“
Mari sagt: „Ich will die U-Bahn anschubsen, damit ich in die Schule fahren kann.“
Jakob muss lachen.
Dann sagt er: „Du musst die U-Bahn nicht anschubsen. Die kommt von ganz allein. Man muss nur Geduld haben.“
Mari sagt: „Bist du dir sicher?“
Jakob sagt: „Ganz sicher. Komm lass uns wieder rausgehen. Ich warte mit dir.“
Mari sagt: „In Ordnung.“
Dann nimmt sie Jakobs Hand.
Jakob ist erleichtert.

Jetzt müssen sie nur noch zurück gehen und dann ist alles wieder gut.
Auf einmal spürt Jakob ein Wackeln unter den Füßen.
Mari fragt: „Was ist das Jakob?“
Jakob dreht sich um.
Er sieht zwei Lichter, die schnell größer werden.
Das Wackeln unter seinen Füßen wird stärker.
Jakob versteht sofort.
Er drückt Mari an die Wand und ruft: „Nicht bewegen, Mari!“
Dann stellt er sich neben sie.
Mit dem rechten Arm drückt er Mari fest an die Wand.
Dann rast die U-Bahn an Jakob und Mari vorbei.
Gelb. Gelb. Gelb. Gelb. Gelb.
Jakob sieht nur Gelb.
Das sind die Wagen der U-Bahn.
Der Wind ist stark.
Jakobs gekämmte Haare werden ganz unordentlich.

Dann ist die U-Bahn weg.
Jakob fragt: „Alles in Ordnung, Mari?“
Mari ruft: „Wir haben die U-Bahn gefunden, Jakob. Du hattest recht. Sie kommt von ganz allein.“
Jakob muss lachen.
Er ist froh, weil es Mari gut geht.
Mari zieht an Jakobs Hand.
Mari sagt: „Komm, Jakob. Wir müssen uns beeilen.“

Mari und Jakob rennen die Treppe hinauf und über den schmalen Weg.
Sie laufen an dem Schild vorbei.
Die U-Bahn ist noch da.
Mari lässt Jakobs Hand los und springt in den Wagen.
Mari ruft: „Schnell, Jakob.“
Die U-Bahn ist schon sehr voll.
Viele Menschen stehen darin.
Jakob ruft: „Ich passe da nicht mehr rein. Ich nehme die nächste Bahn.“
Mari schaut Jakob traurig an.
Die Lichter an den U-Bahn-Türen blinken.
Gleich gehen sie zu und die Bahn fährt los.
Mari springt aus dem Wagen.
Die Tür geht zu und die U-Bahn fährt los.
Mari geht zu Jakob.
Mari sagt: „Ich warte mit dir auf die nächste Bahn.“
Jakob sagt: „In Ordnung.“
Jakob lächelt. Er freut sich.

Die Kunst der Einfachheit 2024 

Gerade hast du einen der 10 besten Texte des Wettbewerbs gelesen. Alle 10 Texte kannst du hier auf dem Blog lesen. Bis zum 1. August veröffentlichen wir jeden Mittwoch und jeden Freitag wir einen Text.

Nun kannst du abstimmen.
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Wenn du magst, lies alle 10 Texte. Oder höre sie dir an. Hab viel Spaß dabei.

Die Abstimmung endet am 8. August 2025.

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