Texte statt Torte Vorlesen

01. Okt 2019Alexandra Lüthen
Alexandra Lüthen auf der Buchmesse in Leipzig 2019, Foto: Matthias Heinzmann
Alexandra liest.

Herzlich willkommen!

Herzlich willkommen sagt man:

Wenn man Besuch bekommt. Zum Beispiel zu Hause. Man macht es schön. Man räumt auf. Man besorgt etwas  Gutes. Man backt einen Kuchen. Man kocht Kaffee.

Der Besuch kommt. Man geht ins Wohnzimmer. Wo willst Du sitzen, lieber Besuch? Setz dich aufs Sofa. Dort ist es gemütlich. Fühlst Du Dich wohl? Brauchst Du etwas?

Ich bin Schrift·stellerin. Die Leserinnen und Leser sind mein Besuch. Ich backe keinen Kuchen. Ich schreibe Texte. Geschichten und Bücher. Mein Lese·Besuch soll sich wohl fühlen. Sich wohl fühlen in meinem Buch.

Viele von meinen Leserinnen und Lesern können sehr gut lesen. Lange Sätze. Schwere Wörter. Dicke Bücher. Für die schreibe ich gerne.

Ich habe auch andere Leserinnen und Leser. Sie können nicht so gut lesen. Oder gar nicht. Sie mögen kurze Sätze. Sie mögen Wörter die jeder sofort versteht. Für die schreibe ich gerne.

Ich kann beides. Meinen Geschichten ist es egal. Ob ich lange Sätze schreibe. Oder ganz kurze.

Es ist wie mit dem Kuchen. Man kann tolle Torten backen. Mit vielen Schichten. Mit Kirschen drin. Und Sahne obendrauf. Und man kann einen Kuchen backen ohne Schnick·schnack. Einen sehr guten Kuchen. Ganz einfach. Lecker ist beides. Torte und Kuchen.

Genauso ist es mit den Texten. Beide Sorten sind super. Die langen und die kurzen. Die schweren und die leichten.

Es gibt schon so viele Geschichten. Manche Geschichten kennen alle Menschen. Romeo und Julia zum Beispiel. Shakespeare hat das geschrieben. Ein alter Dichter aus England. Schon lange tot. Aber die Geschichte lebt immer noch. Sie wird in der Schule gelesen.

Es geht um ein Liebes·paar. Junge Leute. Romeo liebt Julia. Julia liebt Romeo. Aber: die Eltern mögen sich nicht. Sie sind dagegen. Romeo und Julia sollen sich trennen. Sie wollen es nicht. Sie wollen zusammen sein. Sie heiraten heimlich. Es geht nicht gut. Es gibt so viel Streit zwischen den Eltern. Julia und Romeo wissen nicht mehr was sie machen sollen. Am Ende wird es ganz traurig. Julia und Romeo sterben.

Diese Geschichte soll jeder lesen können. Weil sie so schön ist. Und so traurig. Es geht aber nicht. Weil die Geschichte so lange Sätze hat. Und schwere Wörter. Weil die Wörter schon so alt sind. Man kann das Buch nur lesen: Wenn man wirklich gut lesen kann.

Das ist schade. Die Geschichte ist in Wahr·heit nämlich ganz einfach. Ich muss nur andere Wörter benutzen. Sätze kürzer machen. Auf Julia und Romeo auf·passen. Dann kann ich von ihrer Liebe erzählen.

Das ist dann „Literatur in Einfacher Sprache“. Und sowas schreibe ich.

Willkommen also. Willkommen liebe Leserin. Willkommen lieber Leser. Es gibt hier keinen Kuchen. Hier gibt es Wörter. Mach Dir einen Kaffee und lies mit. Ich erzähle dir von meiner Arbeit. Und Geschichten. Lies es selber. Oder lass es Dir vor·lesen. Lesen muss nicht schwer sein. Lesen darf Spaß machen. Lesen kann lecker sein. Wie eine Torte.

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