Liebe Schwester, wo bist du? Vorlesen

10. Apr 2020Doreen Kuttner
Liebe Schwester, ein Bild von Alice Rauch
Kerstin Rauch liest.

Liebe Schwester, wo bist du?

von Kerstin Rauch

Liebe Schwester, ich kann dich nicht mehr finden. Bin ich jetzt allein?

Liebe Schwester, du bist nicht allein. Ich bin der Wind, der dir durch die Haare zaust. Zeig mir dein Gesicht, damit ich es streicheln kann!

Liebe Schwester, ich kann dich nicht mehr hören. Wo bist du?

Liebe Schwester, ich bin immer noch bei dir. Ich bin der Regen, der an die Fensterscheiben prasselt. Ich bin der Vogel, der im Baum für dich singt. Bleib stehen, um mir zu lauschen. Dann erkennst du mein Lied.

Liebe Schwester, ich kann dich nicht mehr spüren. Bin ich jetzt allein?

Liebe Schwester, du bist nicht allein. Leg dich ins weiche Gras. Atme tief ein. Rieche das Moos und die Blumen! Schau, wie die Wolken über dir ziehen. Ich bin bei dir.

Liebe Schwester, ich kann dich nicht mehr sehen. Wo bist du?

Liebe Schwester, ich bin immer in deiner Nähe. Schließe ganz fest deine Augen, dann kannst du mich sehen. Ich bin das Licht. Ich bin deine Lieblingsfarbe. Ich bin dein Kuscheltier. Ich besuche dich in deinen Träumen.

Liebe Schwester, ich fühle mich so allein. Die Traurigkeit sitzt in meinem Bauch. Sie macht mir das Herz schwer. Sie schnürt mir die Kehle zu.

Liebe Schwester, ich bin bei dir. Lass deine Tränen fließen. Es ist gut zu weinen. Die Tränen waschen den Staub von deiner Seele. Schreie deine Traurigkeit und deine Wut heraus. Ich werde dich hören.

Liebe Schwester, wohin bist du gegangen? Du fehlst mir! Ich fühle mich nur halb ohne dich.

Liebe Schwester, ich bin nicht verschwunden. Ich habe mich nur verwandelt. Wie die Schneeflocke, die leise zu Boden fällt. Sie wird zum Wassertropfen. Der Wassertropfen gießt die kleine Blume. Die kleine Blume wächst und schenkt dir ihren Duft. Egal, wo ich gerade bin, ich bleibe immer in deinem Herzen.

Liebe Schwester, bin ich schuld daran, dass du gegangen bist?

Liebe Schwester, du und ich, wir sind beide frei von Schuld. Frei und unschuldig wie der Morgentau auf dem Gras. Auch er kann nichts dafür, wenn eine Blume stirbt, die er berührt. Manchmal passieren Dinge, die wir nicht ändern können. Aber wir sind nicht daran schuld. Liebe kennt keine Schuld.

Liebe Schwester, warum musstest du gehen und ich durfte bleiben?

Liebe Schwester, ich bin wie die Schneeflocke, die auf deiner Wange taut und als Träne herabrinnt. Mein Weg mit dir war kurz. Aber es war wunderschön, ein Stück mit dir zu gehen und deine Wärme zu spüren. Dafür danke ich dir. Ich wünsche mir, dass du weiter gehst. Es ist gut, dass du hier auf der Erde bleibst. Auch wenn ich gegangen bin. Das Leben ist ein Geschenk! Sei wild und frei und lebendig! Was auch immer du tust, ich liebe dich!

Liebe Schwester, wirst du jetzt immer in meinem Herzen bleiben? Oder werde ich deine Liebe irgendwann wieder verlieren?

Liebe Schwester, ich werde immer da sein. Liebe ist das einzige, das nie verloren geht. Ich flüstere sie dir zu, im Rauschen des Windes, im Duft der Blume, im Zwitschern der Vögel. Ich bin der Sonnenstrahl, der deine Nase kitzelt. Ich bin die Schneeflocke, die sanft deine Stirn berührt. Ich bin der Regentropfen, der deine Lippen küsst. Ich bin die Stille um dich herum und schütze dich.

Für immer.

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